Erwartungen, Emotionen, Einsparungen: erster “Dreamliner” ausgeliefert
Warum die neue Boeing 787 so wichtig für Boeing ist
Speaktakulär sieht Boeings Hoffnungsträger nicht gerade aus – wenn man von der windschnittigeren Nase, die ihn deutlich von der Boeing 767 unterscheidet, einmal absieht. Warum ist das Flugzeug so begehrt und warum wird es von den Fluglinien dieser Welt mit Spannung erwartet? Zum einen ist es sicherlich eines, vielleicht sogar das innovativste Flugzeug, das in den letzten Jahrzehnten präsentiert wurde. Wie Boeing stolz auf seiner Homepage mitteilt, besteht die Hälfte der 787 aus Verbundwerkstoffen und nur noch zu ca. 20% aus Aluminium. Das macht das Flugzeug leichter und führt laut Boeing zu einer Reduktion des Treibstoffverbrauchs von ungefaher 20% im Vergleich zu ähnlich grossen Flugzeugen. Auch die Umwelt profitiert: eine signifikante Verringerung im CO2-Ausstoss. Man kann das durchaus als Quantensprung bezeichnen, zum Beispiel im Vergleich zur Boeing 767, die der Dreamliner bei vielen Gesellschaften ersetzen wird. Die Grösse ist ein weiterer Faktor, der die Boeing 787 so beliebt macht: ähnlich der Boeing 767 für die Sitzplatzzahl (210-250 und 250-290 Sitze in der 787-8 bzw. 787-9 Version) und mit einer Reichweite von bis zu 15750 km ist dieser Flugzeugtyp geradezu prädestiniert für Langstreckenrouten, die nicht über das Passagieraufkommen verfügen, um den Einsatz grösserer Flugzeuge, wie die Boeing 747/777 oder den Airbus A380, zu rechtfertigen. Der Typ bedient einen Trend, der sich vor ca. 25 Jahren entwickelt hat und der ungebrochen ist: die Zunahme von Langstreckenverbindungen zwischen kleineren Flughäfen: die Gesellschaften vermeiden hohe Landegebühren an grossen Flughäfen (an denen es oftmals keine neuen Slots gibt) und können ihr Angebot besser auf die Passagiere abstimmen. Diese wiederum vermeiden die Probleme, die die grossen Drehkreuze diese Tage haben wie hohe Parkgebühren, überfüllte Terminals und lange Wartezeiten beim Check-in. Gerade der Markt, für den Boeing den Dreamliner konzipiert hat, ist ein wesentlicher Grund für dessen Erfolg: es ist schon eine Weile her, dass dieser Markt ein neues Flugzeug dieser Grösse für lange Distanzen gesehen hat: die erste Boeing 767 hob ziemlich genau vor 30 Jahren, im September 1981, ab. Der Dauerbrenner auf der Mittel- und Langenstrecke wurde mehrmals modifiziert und die aktuellste Version, die Boeing 767-400 ER (mit vergrösserter Reichweite) wird seit 2000 ausgeliefert. Der Erfolg der 767 ist ungebrochen: mehr als 800 Maschinen fliegen weltweit, und Exemplar Nummer 1000 wurde Anfang diesen Jahres ausgeliefert (interessanterweise an All Nippon Airways). Trotzdem werden ältere Exemplare auf kurz oder lang ersetzt werden müssen. Die andere Flugzeugfamilie, die auf solchen Routen zum Einsatz kommt, ist der Airbus A330 / A340 mit – je nach Version – etwas höherer Passagierkapazität. Diese Flugzeuge wurden 1987 eingeführt und wurden seit 1993 ausgeliefert. Seitdem sind die Flugzeugtriebwerke viel zuverlässiger geworden, und die Einschränkungen für zweistrahlige Maschinen wurden mehr and mehr aufgehoben. Dem A340, der aufgrund seiner vier Triebwerke erheblich schwerer ist und deshalb deutlich mehr verbraucht, wurde diese Entwicklung zum Verhängnis. Der zweistrahlige A330 hingegen, ist immer noch ein Verkaufsschlager: für die zwei Passagierversionen (-200 und -300) stehen momentan 298 Aufträge in Airbus’ Büchern, und eine ganz aktuelle Bestellung von Singapore Airlines (15 Exemplare) zeigt einmal mehr, wie beliebt dieser Flugzeug noch immer ist. Trotzdem werden ältere Modelle irgendwann ausgetauscht werden müssen. Aber zurück zu Boeings Dreamliner: auch in Deutschland wird er bald zu sehen sein. All Nippon Airways hat bereits angekündigt, dass eine der ersten Routen, die mit dem neuen Wundervogel bedient werden, von Tokio nach Frankfurt führen wird. Zu einem späteren Zeitpunkt werden auch Boeing 787 in Deutschland zugelassen werden: Air Berlin hat 15 Jets geordert, die aber nicht vor 2015 ausgeliefert werden sollen. Für Boeing ist die 787 der Hoffnungsträger des Unternehmens. Die letzten 20 Jahre waren nicht immer einfach für den amerikanischen Flugzeughersteller, und der europäische Erzrivale Airbus hat seit 2003 jedes Jahr mehr Flugzeuge ausgeliefert als Boeing. 40 Jahre lang war Boeings Jumbo der König der Lüfte, aber nun bietet Airbus mit dem A380, der 2008 erfolgreich – wenngleich auch um Jahre verspätet – eingeführt wurde, den grössten zivilen Jet an.
Airbus hat 234 Bestellungen für den A380 erhalten, von denen 54 bis dato ausgeliefert worden sind. Der neue Jumbo-Jet, die Boeing 747-8, dagegen wurde bisher nur 114 Mal verkauft. Vor allem mangelnde Nachfrage nach der Passagierversion macht den Verantwortlichen bei Boeing Sorge: weniger als ein Drittel der Bestellungen sind für diese Version eingegangen. Lufthansa hat 20 Exemplare der Passagierversion bestellt und wird damit zumindest in den nächsten Jahren die grösste Flotte an B747-8 haben. Selbst traditionelle Boeing-Kunden, die ehemals grosse 747-400 Flotten hatten, haben die neue Boeing 747-8 nicht bestellt. Qantas setzte einst ausschliesslich die Boeing 747 für ihre Langstrecken um die ganze Welt ein. An der neuesten Weiterentwicklung hat Australiens grösste Fluglinie hingegen bisher kein Interesse gezeigt. Das fliegende Känguruh hat dafür 20 Airbus A380 bestellt, von denen bereits zehn im Einsatz sind. Allerdings ist und bleibt Qantas ein wichtiger Boeing Kunde mit 50 festen Bestellungen und 50 Optionen für die 787. Singapore Airlines Flottenpolitik ist ähnlich: ehemals die Airline mit der grössten Boeing 747-400 Flotte weltweit, betreibt Asiens Vorzeiggesellschaft momentan 69 Maschinen des Typs B777 und nur noch sehr wenige B747-400. Weitere Exemplare der Boeing 777 sind bestellt und auch der Dreamliner wird bald in der Bemalung von Singapore Airlines zu sehen sein. Die Bedeutung der 787 für die Zivilluftfahrtsparte von Boeing kann man deshalb kaum überschätzen. Ein Erfolg dieses Musters ist unverzichtbar, will Boeing seine Stellung behaupten und nicht zu weit hinter Airbus zurückfallen. Einige traditionelle Boeing-Kunden, die sich die letzten zehn Jahre eher zurückgehalten haben mit Bestellungen, haben Gefallen an der neuen Boeing gefunden und werden bald grosse 787 Flotten betreiben. Der Kampf der beiden Luftfahrt-Giganten scheint für Boeing verloren im Bereich der Grossraumflugzeuge, obwohl beide Hersteller hier von signifikant unterschiedlich grossen Märkten ausgehen. Was die Standardrumpfflugzeuge angeht, so wehrt sich Boeing mit den diversen Boeing 737 Varianten noch, wenngleich mit zunehmenden Schwierigkeiten, gegen den Bestseller von Airbus, die A320 Familie (A318-A321). Dass die 737 aber auch schon lange kein Selbstläufer mehr ist, zeigen einige neuere Entwicklungen: American Airlines war einst ein sehr treuer Boeing-Kunde. Als die Gesellschaft, lange Zeit sogar die grösste der Welt, nun bekannt gab, seine Kurzstreckenflotte austauschen zu wollen, wurde deutlich, dass diese Treue zu Ende ist. Von den 460 Flugzeugen, die bestellt wurden, werden 260 aus Toulouse oder Hamburg kommen, den beiden Endmontagestätten von Airbus. Lufthansa war der Erstkunde für die erste Version der Boeing 737, der Boeing 737-100, und sogar einmal der grösste Boeing-Kunde ausserhalb der Vereinigten Staaten, setzt aber inzwischen schon seit Jahren auf die Airbus A320 Familie. Kein einziges Modell der neusten 737-Versionen wurde bestellt, und in wenigen Jahren werden wir keine Boeing 737 mit dem Kranich auf dem Leitwerk mehr sehen. Der Dreamliner ist dementsprechend Boeings Chance, zumindest in einem Bereich die Nase vorn zu haben. Airbus wird dieses Feld seinem Konkurrenten allerdings nicht kampflos überlassen. Der Airbus A350 wurde 2005 eingeführt; 2007 wurde dann eine gründlich überarbeitete Version vorgestellt. Die verschiedenen Versionen sollen zwischen 2013 und 2017 ihren Dienst bei den Fluggesellschaften aufnehmen. Dieser Typ, dessen Rumpf ebenfalls mehr Verbundwerkstoffe enthält als alle anderen Airbus Typen, ist eine deutliche Kampfansage an Boeing: bereits mehr als 500 Exemplare wurden bestellt! Der A350 wird mehr Passagieren Platz bieten (250-350 Sitze) und voraussichtlich in drei unterschiedlichen Versionen angeboten werden. Insgesamt mehr als 1300 Bestellungen für die Boeing 787 und den Airbus A350 geben eine Vorstellung von der enormen Grösse dieses Marktbereichs. Wie hart er umkämpft ist, zeigt auch die Tatasache, dass Airbus nicht zögerte, den A350 für sehr viel Geld komplett zu überarbeiten und damit auch eine Verzögerung von mehreren Jahren in Kauf zu nehmen; wäre das nicht passiert, würde der A350 vermutlich heute schon fliegen. Sollte die Boeing 787 die Erwartungen erfüllen, die der Hersteller in sie steckt, könnte Boeing diesen Marktbereich dominieren. Allerdings sollten sich die Verantwortlichen erinnern, dass sie in anderen Bereichen auch führend waren und diese Führung mittlerweile verloren haben. Im Bereich von grossen Frachtflugzeugen liegt Boeing nach wie vor vorne. Die Frachtversionen von Boeing 747-400, MD11 und Boeing 777 dominieren klar den Markt. Die Kunden haben zweimal so viele 777 wie A330 bestellt, und auch der neue Jumbo-Frachter wurde bereits 78 mal gekauft. Dass Boeing die erste Auslieferung der B747-8, die eigentlich für 19. September an Cargolux geplant war, aufgrund von vertraglichen Differenzen nochmal verschieben musste, wird den Erfolg des neuesten Fracht-Jumbos allenfalls verzögern, sicher aber nicht aufhalten können. Nur bei Frachtflugzeugen vorne zu liegen, dürfte allerdings nicht nach Boeings Geschmack sein. Der amerikanische Hersteller konzentriert sich deshalb derzeit sehr auf die Boeing 787. Diese muss erfolgreich sein, will man verhindern dass Airbus zu weit davonzieht. Sollte Letzteres eintreten, wird die Lücke schwer zu schliessen sein. Das hundertjährige Boeing Jubliäum in fünf Jahren wäre dann kaum ein Grund zum Feiern.
27 September 2011
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